Es war einmal in Rom
Konrad Adam war in Rom. Ist wohl schon ein paar Jahre her, aber aus halbwegs aktuellem Anlass scheint ihm diese Reise wieder in Erinnerung gerufen worden zu sein. Bei dieser Romreise besuchte er den Palazzo eines namentlich nicht genannten Marchese an der Piazza Navona. Der Palazzo beherbergt die Fahne, die Don Juan d’Austria während der Schlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 auf seinem Schiff mit sich führte. Lepanto! Welch‘ Triumph der Christenheit über die ‚ungläubigen Erzfeinde‘ aus dem Osmanischen Reich! Und die Fahne, die als Zeuge für diesen unübertrefflichen Sieg bürgt, hängt immer noch in einem römischen Palazzo! Und Konrad Adam hat sie gesehen! (Sie zu berühren wagte er nicht, der weinrote Brokat schien ihm zu brüchig.) All das weckte in ihm die Erinnerung an dieses große Ereignis, an die Seeschlacht am Golf von Patras, als sich das Osmanische Reich und die „Heilige Liga“ (Papst, Spanien, Venedig, Genua, Malteser, einige italienische Fürstentümer) ein blutiges Gemetzel lieferten. Dabei versuchte, wie Konrad Adam es beschreibt, die „türkische Flotte die Schiffe der Liga zu umfahren und ihnen in den Rücken zu kommen“ (wie hinterhältig!). Aber: „Das Manöver misslang, die christlichen Streitkräfte erwiesen sich als disziplinierter und stärker.“ (Hatten wir auch nicht anders erwartet.) „Die Türken verloren an die 180 Schiffe, die Liga nur zwölf.“ (Dem Herrn sei‘s getrommelt!) „Und sie befreite an die 12.000 christliche Galeerensklaven, die für die Türken hatten rudern müssen.“ (Gloria! Victoria!)
Verfehlter Geschichtsunterricht
Weder der Besuch in einem römischen Palazzo noch die Erinnerung an Lepanto würde irgendjemanden interessieren – wenn es nicht zufällig als Artikel auf Seite 2 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stünde und wenn der Verfasser nicht zufällig Bundessprecher der Partei „Alternative für Deutschland“ wäre. [1] Eben jener Konrad Adam erinnert uns am christlichen Sonntag in einer Sonntagszeitung daran, welche Bedeutung Lepanto doch einst für die Christenheit besessen hat. Fragt sich nur, warum diese Erinnerung ausgerechnet in dieser Zeit?
Vielleicht geht es um ein wenig Geschichtsunterricht? Der Frühneuzeitler in mir freut sich natürlich, wenn ein Ereignis aus dem 16. Jahrhundert einen prominenten Platz im Politikteil einer großen Sonntagszeitung bekommt. Derselbe Frühneuzeitler in mir ärgert sich aber maßlos, wenn dieses Ereignis in derart verkürzender bis verfälschender Weise für propagandistische Zwecke missbraucht wird, so als seien seither nicht über vier Jahrhunderte ins Land gezogen. Was historisch gesehen an Lepanto wirklich wichtig war, sind zwei Dinge: Erstens verlor das Osmanische Reich (und nicht „die Türken“, wie Adam unkorrekt immer wieder schreibt) seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit. Das hat den europäischen Mächten damals sichtlich gut getan. Zweitens löste Lepanto in ganz Europa einen nachhaltigen Propagandakrieg gegen die Osmanen aus, der sich in zahlreichen Gemälden, Kapellen, Festen, Flugblättern usw. niederschlug. Darin wurden die göttliche Fügung des Geschehens und die Bedeutung des militärischen Schlags gegen den ‚ungläubigen Erzfeind‘ gebührend gefeiert. Es scheint fast so, als wollte Adam hier nahtlos anschließen.
Ansonsten ist aber vor allem interessant, was Adam alles auslässt. Er erwähnt zum Beispiel nicht, dass das Heilige (sic!) Römische Reich Deutscher Nation an der Heiligen (sic!) Liga herzlich wenig Interesse hatte, sondern lieber den Separatfrieden mit den Osmanen aufrechterhalten wollte. Er erwähnt auch nicht, dass Frankreich viel eher an einem Bündnis mit den Osmanen als mit dem Papst, mit Spanien oder den italienischen Staaten interessiert war. Er erwähnt auch nicht, dass die Heilige Liga 1573 schon wieder auseinanderbrach und Venedig einen Separatfrieden mit den Osmanen schloss – weil ihnen Geschäfte und Kooperationen wichtiger erschienen als kostspielige Kriegsführung. Er erwähnt auch nicht die zahlreichen Auseinandersetzungen, die das Zustandekommen der Liga im Vorfeld massiv erschwerten. Er erwähnt auch nicht, dass diese Niederlage die Osmanen nur kurz schwächte; die Flotte war im Nu wieder aufgebaut, so dass Voltaire in einer historischen Rückschau die Vermutung äußern konnte, Lepanto mute eher wie ein Sieg der Osmanen an. Und schließlich erwähnt er auch nicht, dass nicht nur in den Galeeren der Osmanen christliche Sklaven als Ruderer schuften mussten. Auch die Galeeren der Spanier, Venezianer, Genuesen, Malteser oder des Papstes bewegten sich überraschenderweise nicht mit Ökostrom vorwärts, sondern mit der (unfreiwilligen) Hilfe – tausender christlicher Galeerensklaven! Nicht selten handelte es sich um Strafgefangene, für die das Verbüßen ihrer Strafe auf einem solchen Schiff einem nahezu sicheren Todesurteil glich. Aber um solche historischen Differenzierungen muss sich Konrad Adam nicht kümmern, denn dadurch könnte die eigentliche Botschaft verwässert werden.
An die Ruderbänke!
Es geht also nicht um Geschichtsunterricht, es geht auch nicht um ein Jubiläum dieser Schlacht, das demnächst anstehen würde – man wird also nicht ganz fehlgehen, dahinter eine (partei-)politische Intention vermuten zu dürfen. Schade, dass sich die FAS für so etwas hergibt. Garniert wird der Artikel zu allem Überfluss auch noch mit einem Gemälde von Vassilacchi, das untertitelt ist als „Untergang des Morgenlandes“. Eine Einladung für die anstehenden Pegida-Demonstrationen, bei denen sich „Lepanto“ vielleicht als neuer Schlachtruf etablieren wird.
Der Artikel firmiert unter dem kaum missverständlichen Titel „Wie die Christen schon einmal die Türken schlugen“. Das ruft doch geradezu nach Wiederholung! Also ab in die Boote, ihr AfD-Wähler und Pegida-Anhänger, schlagt die ‚Ungläubigen‘, wo ihr sie trefft! Aber passt auf, dass ihr nicht unter Deck landet, angekettet an die Ruderbänke, während oben andere das Kommando führen …
Was lernen wir aus diesem ansonsten gänzlich zu vernachlässigenden Beitrag?
- Missbrauche nicht die Vergangenheit in vereinfachender und verfälschender Form für billige politische Anliegen der Gegenwart.
- Wenn du schon von dieser Vergangenheit erzählst, dann tue es in möglichst komplexer, möglichst zahlreiche Aspekte berücksichtigender Form.
- Wenn du schon einen Artikel schreibst, in dem billige Ressentiments gegen Andere bedient werden, dann schreibe wenigstens einen guten Artikel. Üble Beiträge mit üblen Inhalten sind eine doppelte Beleidigung.
- Wenn du etwas aus Lepanto lernen willst, dann lerne dies: Es ist wirklich für alle Beteiligten besser, auf gegenseitige Anerkennung und Zusammenarbeit zu setzen als auf gegenseitiges Abschlachten.
Muss man so etwas wirklich noch hinschreiben?
[1] Konrad Adam, Wie die Christen schon einmal die Türken schlugen. Die Seeschlacht von Lepanto ist über 400 Jahre her. Der AfD-Politiker Konrad Adam ruft die Erinnerung wach, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4. Januar 2015, S. 2.
[…] GESCHICHTE Blog von Achim Landwehr: Lepanto oder der fortgesetzte Missbrauch der Vergangenheit: In der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung durfte gestern der AfD-Politiker Konrad Adam einen sehr geschichtsvergessenen Text über die Schlacht von Lepanto auf Seite 2 der Zeitung veröffentlichen. Zuerst ärgerte ich mich über die politisch eindimendionale Nacherzählung der Geschehnisse, denn Adam reduzierte die Schlacht auf einen Glaubenskampf zwischen Christentum und Islam. Doch nicht nur mir, der ein Semester lang venezianische Geschichte in Venedig studierte, missfiel das, sondern auch dem Düsseldorfer Historiker Achim Landwehr, der auf seinem Blog eine lesenswerte Antwort gab und mir dabei auch wieder einmal zeigte, was das Schöne am Blogging ist. […]
[…] Landwehr analysiert hier aus der Sicht eines Historikers ausführlich, was für ein unsäglicher Missbrauch der […]
[…] Knackige Kritik von Achim Landwehr an Konrad Adam, der sich in der FAS an der Verteidigung des Abendlandes verhob. Thanx […]
Lieber Herr Landwehr,
und erneut (es häuft sich) ein Danke! Die Frage nach dem Missbrauch der Geschichte wirft sogleich die Frage auf, was denn ein legitimer Gebrauch der Geschichte ist, bzw. nach welchen Kriterien Ersterer von Letzterem zu unterscheiden wäre (und da wir ja nicht daran glauben, dass Kriterien der Natur entstammen: welche denn als solche erachtet werden sollten). Was also kann Ge-Brauch der Geschichte sein?
Das ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Und auch wenn Ihre Forderungen in diesem Posting nach komplexer Erzählung _der_ Geschichte sicher weiter helfen: ist das Problem damit schon gelöst? Ich möchte das bezweifeln. Das hat durchaus damit zu tun, was wir unter „Geschichte“ verstehen wollen und auf die Konsequenzen dieser Entscheidung.
Ist Geschichte etwas Gegebenes, das vor und außerhalb einer Verwendung existiert — oder entsteht Geschichte als Konstrukt eines historisch Denkenden bzw. als Ergebnis eines Denkvorgangs erst im Gebrauch?
1. Trägt Geschichte ihren Zweck allein in sich selbst? Dann wäre aller Gebrauch — etwa auch zu Werbezwecken, wie er gerade in Publik History Weekly an einem Beispiel zum Weihnachtsfrieden im Ersten Weltkrieg diskutiert wird — per se unzulässig,
oder ist
2. Geschichte zwar etwas außerhalb der Verwendung Bestimmbares, das aber nur zu bestimmten Verwendungen taugt —
oder ist
3. Geschichte immer nur in „Verwendung“ existent, d.h. in zweckbestimmten gegenwärtigen Verweisen auf Vergangenes im Rahmen einer Konstruktion, welche mit Hilfe spezifischen, nur vom Format „Geschichte“ zu erbringenden Leistungen (narrativen Sinnbildungen) diesem Zweck dienen sollen — nämlich einer Orientierung?
Ich vermute, dass nur im letzteren Verständnis sinnvoll über die Grenze von Ge- und Missbrauch „von Geschichte“ diskutiert werden kann, sich dabei diese Frage aber verwandeln muss in diejenige nach der gerade auch normativen Triftigkeit der dabei erzählten Geschichte(n). Der Ge- oder Missbrauch ist dann nicht einer, der mit einer irgendwie schon existenten und als solcher unbezweifelten Geschichte erfolgen würde, sondern er besteht dann in der narrativen Konstruktion selbst. Dann auch wird Ihre Forderung nach Standards der Komplexität, welche um Forderungen nach Perspektivenerweiterungen etc. kaum ergänzt zu werden braucht, weil sie diese letztlich schon impliziert, zum Ansatz eines Kriterienkatalogs für einen verantwortungsvollen „Umgang“ mit Geschichte, der diese nicht schon voraussetzt.
Lieber Herr Körber,
danke für den Hinweis auf die wichtigen geschichtstheoretischen Aspekte dieses Themas! Wirklich harte Kriterien für den Umgang mit dem Vergangenen kann es natürlich kaum geben – schließlich wären auch diese der Veränderung unterworfen und möglicherweise schneller hinfällig als man sie formulieren könnte. Ich würde meinen, dass es um eine Frage der Haltung und der Einstellung geht. Der „Gebrauch“ der Geschichte sollte daher nicht zuletzt davon ausgehen, dass „Geschichte“ wir ja immer (auch) selbst sind. Wenn wir also Vergangenheit behandeln, dann behandeln wir uns selbst. Eine Maxime im Umgang mit Geschichte würde für mich daher lauten: Behandle die Vergangenheit immer so komplex und ausführlich wie du selbst behandelt werden willst. (Ich habe versucht, in meinem Blog-Beitrag zu „Flacher Geschichte“ das näher auszuführen.)
Deswegen würde ich Ihrer Auflistung der drei Verständnismöglichkeiten von Geschichte eine vierte hinzufügen, die Vergangenheit nicht als ein (in welcher Form auch immer) abgetrenntes Gegenüber von der Gegenwart sieht, sondern auf die konstitutiven Relationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart abzielt. „Die Geschichte“ als naturalisiertes Äußeres werden wir dabei kaum entdecken. Wir werden uns und all die Toten früherer Zeiten (die wir bald selbst sein werden) aber als Wesen entdecken, die in selbst gemachte temporale Gespinste eingebunden sind. Und je mehr diese temporalen Gebilde in ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt zur Kenntnis genommen werden, desto besser.
Lieber Herr Landwehr,
ja, Ihre vierte Fassung ist in meiner dritten mitgedacht – und für mich konstitutiv: Die Geschichte als naturalisiert Äußeres, die man „ge-“ oder „miss“-brauchen“ könnte wie einen Gegenstand, gibt es nicht — Geschichte relationales Denken über Zeit — und dieses Denken kann legitim oder illegitim, missbräuchlich, geschehen.
[…] Lepanto oder Der fortgesetzte Missbrauch der Vergangenheit – Eine kluge Zurechtweisung vereinfachender und unterkomplexer Geschichtsklitterung: Achim Landwehr über die Seeschlacht bei Lepanto. Kann es wirklich sein, dass bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung niemand da ist, der wenigstens die gröbsten Schnitzer in den Artikeln der Gastautoren korrigiert? […]
[…] verwundern kann es eigentlich kaum. Vorsitzender der Stiftung ist schließlich Konrad Adam, ein der Geschichtsklitterung bereits einschlägig vorbestrafter Zeitgenosse. Da fügen sich die Dinge. Da kann man auch einmal […]